Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!
Dieses Wort von Jesus steht über dem neuen Jahr 2021.
Nachfolgend finden Sie Gedanken zu dieser Jahreslosung aus Lukas 6,36 von Pfarrer Prof. Dr. Markus Printz aus dem ökumenischen Neujahrsgottesdienst in Hilsbach.
Wir wünschen Ihnen ein von Gott reich gesegnetes neues Jahr 2021!
Ich grüße Sie mit der Jahreslosung aus Lk 6,36 für dieses neue Jahr, wo Jesus Christus zitiert wird:
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!
Ein Wort tritt einem in diesem Vers gleich zweimal entgegen: „barmherzig“.
Grund genug zu fragen: Was bedeutet dieses Wort eigentlich?
Es besteht aus 3 Teilen: B (=zu) – arm – Herz, d.h. es geht um eine Haltung, wo jemand „einem armen Herzen“ zugewandt ist.
Das Gegenteil wäre „hartherzig“ oder „kaltherzig“. Der Hartherzige lässt die Not des anderen nicht an sich herankommen, sein Herz bleibt kalt.
Dieses Wort „barmherzig“ wird in der Jahreslosung zweimal von Jesus genannt, einmal in einem Imperativ „seid barmherzig“ und einmal in einem Indikativ „euer Vater ist barmherzig“. Als Beispiel für Barmherzigkeit wird der himmlische Vater hingestellt. D.h. wenn wir wissen wollen, wie Barmherzigkeit aussieht, dann können/sollen wir uns an unserem himmlischen Vater orientieren.
Beispiele für diese Barmherzigkeit können wir quer durch die Bibel finden.
Bereits nach der Schöpfung haben die Menschen Gottes Gebot übertreten und sich für ein Leben im Selbstbezug entschieden statt in der Beziehung mit Gott. Sie müssen das Paradies verlassen, aber Gott sorgt aus Barmherzigkeit auch weiter für sie und lässt sie nicht einfach fallen.
Als Kain seinen Bruder Abel erschlagen hat, stellt ihn Gott zur Rede und konfrontiert ihn mit den Konsequenzen. Kain hat Angst um sein Leben, dass andere jetzt mit ihm so verfahren, wie er es mit seinem Bruder gemacht hat. Gott gewährt ihm aus Barmherzigkeit das Kains-Zeichen, das ihn bewahrt.
Nach all der Bosheit der Menschen und der Sintflut als Konsequenz verspricht Gott dem Noah, keine weltweite Flut mehr zu schicken, sondern dem Menschen die Lebensgrundlagen zu erhalten und gibt ihm als Zeichen, dass nicht aufhören wird Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht den Regenbogen.
Als Hilfe für ein Leben mit Gott und untereinander werden dem Volk Israel die 10 Gebote gegeben. Und wir können das ganze alte Testament durchgehen und sehen noch viele weitere Beispiele für Gottes Barmherzigkeit.
Schließlich zeigt sie sich am deutlichsten in der Sendung seines geliebten Sohnes, der die Schuld, die der Mensch nicht tragen oder sühnen oder abarbeiten kann, selbst trägt.
Und an all diesen Beispielen sehen wir, dass wir Barmherzigkeit nicht verwechseln dürfen mit Schwachheit oder Laissez-faire. Nein Barmherzigkeit ist nicht oberflächlich, ist nicht bequem, ist nicht ein Laufenlassen des anderen aus Gleichgültigkeit, sondern bei der Barmherzigkeit, da zerreißt es dem Vater das Herz, wenn er den Sohn von den Schweinen kommen sieht. Barmherzigkeit lässt sich den Einsatz etwas kosten.
Nun ergeht die Aufforderung an uns „Seid barmherzig!“ – Ist dies nicht eine wahnsinnige Überforderung? Ja, das ist es! Aber wer meint, die Aufforderung zur Barmherzigkeit ist einfach ein Appell an den Gutmenschen in uns, der hat dieses Wort noch nicht verstanden.
Schauen wir uns noch ein Gleichnis im neuen Testament an, das uns helfen kann, das mit der Barmherzigkeit noch besser zu verstehen.
Zu Jesus kommt ein Gesetzeslehrer, der wissen möchte, wie er das ewige Leben bekommt, eine zentrale, eine entscheidende Lebensfrage.
Das Problem ist nur: Es ist bei ihm keine ehrliche Frage. Denn er meint, die Antwort schon längst zu kennen. Und so fragt Jesus zurück: Was sagt Gott in seinem Wort? Der Gesetzeslehrer kann die Frage korrekt beantworten: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst. Und Jesus rät ihm: Dann tu das! Dann leb‘ das in deinem Alltag!
Das wird dem Gesetzeslehrer zu anstrengend. Deshalb kehrt er lieber wieder zurück zur Theorie und will darüber philosophieren: „Wer ist denn überhaupt mein Nächster?“
Und darauf erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Hier fällt einer unter die Räuber. Er braucht Hilfe. Zunächst kommen zwei vorbei, die von der Barmherzigkeit des Vaters wissen sollten. Denn es sind – so würden wir heute sagen: zwei Kirchenleute. Aber sie haben ihre guten Gründe, warum sie gerade jetzt nicht barmherzig sein können oder wollen.
Dann kommt einer vorbei, bei dem ist konfessionell und von der Glaubenslehre nicht alles in Ordnung, ein Samariter. Aber er ist bereit, sein Herz anrühren zu lassen, sich die Hände schmutzig zu machen und seinen Verstand dazu zu gebrauchen zu überlegen, wie er dem anderen zum Nächsten werden und helfen kann.
Und das ist die entscheidende Botschaft dieses Gleichnisses. Der Gesetzeslehrer gebraucht seinen Verstand, um nach einer Ausrede zu suchen, dass man ja gar nicht so genau wissen kann, wer der Nächste ist, dem man Barmherzigkeit schenken soll.
Aber Jesus dreht die Frage um und fordert ihn heraus: Überlege, wem du zum Nächsten werden kannst, wer die Zuwendung deines Herzens braucht.
Ihr Lieben, das ist eine spannende Frage in der aktuellen Situation. Dass es uns gutgeht, dass wir heute hier sein können, dass wir den Beginn des neuen Jahres gemeinsam in diesem Gottesdienst feiern können, haben wir der Barmherzigkeit unseres himmlischen Vaters zu verdanken. Jetzt lautet die Frage an dich: Wem kannst du zum Nächsten werden? Wer braucht die Zuwendung deines Herzens?
- Vielleicht zunächst wir selbst. Vielleicht merken wir, dass wir an der einen oder anderen Stelle versagt haben. Dass wir zu ängstlich oder zu leichtsinnig waren und gerade darin an anderen und an Gott schuldig geworden sind. Sind wir barmherzig gegenüber uns selbst wie unser himmlischer Vater barmherzig ist, der uns in Jesus Christus Vergebung für Schuld gibt.
- In vielen Gemeinden gehen die Meinungen, wie richtig mit Covid 19 umzugehen ist, weit auseinander. Wir feiern heute diesen Gottesdienst miteinander – sogar ökumenisch. Wunderbar!
In anderen Gemeinden sind schon seit dem 4. Advent bis zum 10.1. alle Präsenz-Gottesdienste abgesagt. Und ich habe Kollegen gehört, die meinten: „Völlig verantwortungslos, jetzt noch Gottesdienste zu feiern.“ Andere sagen: „Gerade jetzt brauchen wir den Zuspruch des Wortes Gottes von außen, das wir uns nicht selbst zusprechen können.“ Wie gehen wir mit unseren unterschiedlichen Meinungen um? Erlauben wir Covid 19, uns zu zerreißen? Oder verstehen wir den Plural als Hinweis dazu, dass wir gerade in diesen angefochtenen Zeiten uns als Gemeinde gegenseitig brauchen.
Seid barmherzig, wie auch der Vater barmherzig ist. - Gott war das vergangene Jahr mit uns barmherzig, hat uns gegeben, was wir zum Leben brauchten und oft noch viel mehr. Manche Gottesdienste unserer Gemeinden konnten nicht oder nur mit reduzierter Teilnehmerzahl stattfinden. Manche Kollekte fiel deshalb auch kleiner aus und für manches Projekt fehlt deshalb jetzt die finanzielle Grundlage. „Seid barmherzig, wie auch unser Vater barmherzig ist“, kann deshalb auch als Aufforderung verstanden werden, darüber nachzudenken, wo wir unsere Gemeinden oder Glaubenswerke mit einer Sonderspende unterstützen können.
Seid barmherzig, wie auch der Vater barmherzig ist. - Schließlich geht auch der Blick nach außen zu vielen, die in der Gefahr stehen, angesichts der eigenen Probleme vergessen zu werden. Ihr Sternsinger richtet in diesem Jahr den Fokus auf die Kinder in der Ukraine. Wer denkt jetzt an sie? Wer öffnet sein Herz für sie? Das Herz unseres himmlischen Vaters ist offen für sie und die Jahreslosung ermutigt uns:
Seid barmherzig, wie auch der Vater barmherzig ist.
Ihr Lieben, so breitet am Beginn dieses neuen Jahres unser guter, uns lieben-der himmlischer Vater weit seine Arme aus mit einem großen Herzen für uns und ermutigt uns, auch unser Herz weit zu machen für andere. Amen.
Gottes Segen zum neuen Jahr! Pfr. Markus Printz